Beim frühkindlichen Autismus handelt es sich um eine neurobiologische Entwicklungsstörung, die grundsätzlich vor dem dritten Lebensjahr auftritt. Was sind die ersten Anzeichen des frühkindlichen Autismus und wie kann man sein Kind bei seinen speziellen Bedürfnissen unterstützen?

Frühkindlicher Autismus kommt nicht selten mit einer geistigen Behinderung einher

Autisten sehen die Welt oft mit anderen Augen und reagieren intensiv auf Reize, die sie oft nicht richtig zuordnen können. Autismus hat viele Gesichter und Facetten und bei jedem Kind können sich unterschiedliche Verhaltensweisen und Ausprägungen zeigen, was es manchmal schwierig macht, es zu diagnostizieren. Frühkindlicher Autismus zählt zu den Autismus-Spektrum-Störungen und macht die schwerste Form aus. Sie tritt etwa bei drei von 1000 Kindern auf. Vor dem 18. Monat ist eine genaue Diagnose schwierig, da hinter den Verhaltensauffälligkeiten auch andere Erkrankungen stehen können. Bei vielen Kindern fällt deswegen meist sehr spät auf, dass sie Autisten sind. 

Frühkindlicher Autismus zeigt sich, wie der Name bereits verrät, relativ früh im Lebensalter eines Kindes, meist vor dem dritten Lebensjahr. Leo Kanner beschrieb als erster den frühkindlichen Autismus und definiert ihn entweder als angeboren oder in frühester Kindheit erworben, oft begegnet man deswegen auch dem Begriff ‚Kanner-Syndrom‘. Der frühkindliche Autismus ist eine eigenständige Form und grenzt sich vom Asperger-Syndrom, dem hochfunktionalen Autismus und dem atypischen Autismus ab. Kinder mit frühkindlichem Autismus, die sich sehr positiv entwickeln, können später dem hochfunktionalen Autismus zugeordnet werden. Da es innerhalb der Kategorien Möglichkeiten zur Entwicklung gibt, spricht man mittlerweile auch von Autismus-Spektrum-Störungen. In der Bundesrepublik kann man etwa von 6000 bis 7000 autistischen Kindern ausgehen. Jungen sind zwei- bis dreimal so oft von autistischen Störungen betroffen wie Mädchen.

Autismus generell und auch der frühkindliche Autismus, ist durch drei Hauptmerkmale gekennzeichnet:

  • Stereotype, wiederholende Verhaltensmuster: 

Kinder, die an frühkindlichem Autismus leiden, zeigen oft den Hang zu ritualisiertem Verhalten, d.h. sie brauchen Vorgänge, die immer einen gleichen oder ähnlichen Ablauf haben. Dies zeigt sich zum Beispiel an bestimmten, routinierten Spielmustern, die quasi einem strengen Ablauf folgen. Weicht man von diesen Abläufen ab oder treten Veränderungen auf (z.B. das Umstellen von Möbeln oder Spielzeug), kann das Kind enorm verunsichert werden und unter Umständen aggressiv werden. Betroffene Kinder zeigen oft einige Besonderheiten in ihrem Verhalten auf, beispielsweise haben manche eine Abneigung gegen weiche (Spiel-)objekte und schenken lieber ungewöhnlichen Dingen ihre Aufmerksamkeit (z.B. Türklinken oder Knöpfe) oder sie brauchen feste Rituale, um einzuschlafen. Auch motorisch zeigt sich diese Veranlagung mit abweichenden, manchmal bizarr anmutenden Bewegungen, z.B. das Wedeln mit den Händen und das Vor- und Zurückschaukeln des ganzen Körpers.

  • Eine gestörte soziale Interaktion:
    Kinder mit frühkindlichem Autismus haben Probleme, Gefühle von anderen richtig zu deuten. In der Kommunikation reagieren sie oft unangemessen auf Gefühlsregungen von anderen (z.B. lachen, wenn der andere weint, kein danke sagen, wenn man etwas geschenkt bekommt) und haben Probleme, eine Beziehung zum Gegenüber aufzubauen. Blickkontakt wird wenig bis gar nicht aufgebaut. Zudem neigen Kinder mit frühkindlichem Autismus dazu, sich selbst von anderen zu isolieren, z.B. indem sie ihre (meist speziellen) Interessen nicht mit anderen teilen.
  • Eine beeinträchtigte verbale und/oder nonverbale Kommunikation:
    Bei autistischen Kindern setzt die Sprache oft erst später ein, als bei anderen Kindern, manche Kinder verweigern sogar das Sprechen ganz und weichen auch nicht auf Gestik oder Mimik aus, um sich anderweitig auszudrücken. Im Sprachmuster folgen Autisten oft wiederholenden Strukturen, beispielsweise werden Wörter oft nacheinander ausgesprochen wie bei einem Echo oder es werden ganz neue Wörter gebildet. Etwa 30 – 50% der betroffenen Kinder entwickeln keine Sprache oder nutzen diese stereotyp ritualisiert. Im Gespräch mit anderen hat das Kind Schwierigkeiten, angemessen auf das Gesagte des Gegenübers zu reagieren und geht oftmals gar nicht erst auf Gespräche ein, weder beginnt es diese. Autistische Kinder neigen zudem dazu, nicht mit dem Finger auf Gegenstände zu zeigen, sondern eher die Hand eines anderen zu nehmen und auf den Gegenstand zu legen, wenn sie diesen haben möchten. Auch reagieren sie meist nicht auf direkte Ansprache, wenn man ihren Namen ausspricht.

Weitere Anzeichen, dass ein Kind frühkindlichem Autismus haben könnte:

  • Kinder, die frühkindlichen Autismus haben, hinken anderen Kindern in der motorischen und kognitiven Entwicklung oft hinterher. Bei vielen tritt eine Intelligenzminderung auf. 
  • Sehr frühe Anzeichen können Stillprobleme sein, da das Kind oft die Brust verweigert. Auch beim Zufüttern mit Beikost zeigen sich Auffälligkeiten, da das Kind beispielsweise vehement nur bestimmte Lebensmittel in einer bestimmten Temperatur akzeptiert. 
  • Der Schlaf-Wach-Rhythmus ist gestört und das Kind kommt nur schlecht zur Ruhe.
  • Gegen Ende des ersten Jahres zeigt sich oft ein stereotypisches Spielverhalten. Es besteht wenig Interesse an einem gemeinsamen Spiel, zudem zeigen Kleinkinder beim Rollenspiel so gut wie kein Imitationsverhalten. Beim Vater-Mutter-Kind spielen kann das autistische Kind nur seine eigene Rolle, also die Rolle des Kindes, einnehmen.   
  • Kinder mit frühkindlichem Autismus neigen dazu, Geräusche zu machen, die sie wiederholen. Dies kann z.B. ein stetiges vor sich hin summen sein. Manche Kinder sind extrem geräuschempfindlich und halten sich bei für sie als unangenehm empfundenen Geräuschen die Ohren zu und / oder fangen an zu weinen, manche nehmen fast überhaupt keine Geräusche wahr.
  • Autistische Kinder zeigen oft eine Unempfindlichkeit gegenüber Wärme, Kälte und Schmerzen. Manche Kinder neigen sogar zu selbstverletzendem Verhalten. Letzteres ist in jedem Fall durch einen Arzt / eine Ärztin kontrollbedürftig.
  • Frühkindlicher Autismus kann sich auch durch ein unvorhersehbares Verhalten äußern, z.B. durch Lachen oder Kichern ohne Grund.
  • Das Bonding fällt schwer, da von Seiten des Kindes kaum Kontakt zu den Eltern gesucht wird. Vor allem die Mutter kann in schwerwiegenden Fällen eher wie ein Objekt behandelt werden.

Ursachen von frühkindlichem Autismus

Die früher populäre Hypothese, dass autistische Kinder durch die mangelnde Zuwendung ihrer Mütter so geworden sind, konnte mittlerweile widerlegt werden. Die Ursache ist wissenschaftlich noch nicht hinlänglich geklärt, allerdings konnten in Untersuchungen Migrationsstörungen bei Hirnschichten verbindenden Neuronen und Defizite von Spiegelneuronen nachgewiesen werden. Man geht von einer Erfassungsstörung aus, die die Aufnahme von Umweltreizen so hingehend verändert, dass Autisten sich quasi eine eigene Realität aufbauen, die von der ‚echten‘ abzuweichen scheint. Autismus tritt auffällig häufig in den eher gebildeten Sozialschichten auf, der Grund dafür ist jedoch unbekannt. 

Wie kann ich feststellen, ob mein Kind frühkindlichen Autismus hat und wie wird es behandelt?

Je früher bei einem Verdacht eine Abklärung erfolgt, desto besser kann auf die speziellen Bedürfnisse des Kindes eingegangen werden. Die erste Anlaufstelle kann der Kinderarzt oder die Kinderärztin sein, um eine erste Einschätzung zu geben. Kinderpsychiater*Innen  können eine gesicherte Diagnose liefern, auf der sich ein Therapieangebot aufbauen lässt. Spezielle Kliniken und Institute sind auf die Behandlung von Autisten spezialisiert. 

Autismus ist nicht heilbar, jedoch kann man durch eine gezielte Therapie die kommunikativen und sozialen Fähigkeiten des Kindes verbessern und so dazu beitragen, dass Eltern und Kind entlastet werden. Je früher der Autismus erkannt und therapiert wird, desto erfolgreicher sind die Behandlungsaussichten. Das Hauptaugenmerk liegt auf einer Verhaltenstherapie, in die auch Eltern und Umfeld einbezogen werden können, um dem Kind eine möglichst sichere Umgebung bieten zu können, in der es sich entfalten kann. Auch Musik- und Reittherapien konnten bisher gute Erfolge bei frühkindlichem Autismus zeigen. Häufig geht mit frühkindlichem Autismus eine geistige Behinderung einher. Betroffene Kinder sind zeitlebens auf eine Betreuung angewiesen, in welchem Maße ist vom Grad der Erkrankung abhängig.

Eltern sollten sich in jedem Fall Unterstützung suchen, sei es in therapeutischem Maße oder in einer Selbsthilfegruppe. Die Auseinandersetzung mit den besonderen Bedürfnissen ihres Kindes und auch der Austausch mit anderen Eltern kann immens dazu beitragen, das eigene Kind besser zu verstehen.
Weiß man erstmal, wie genau ein autistisches Kind tickt, lassen sich Konfliktsituationen besser vermeiden.

Hier nochmal das Wichtigste in Kürze:

  • Frühkindlicher Autismus ist eine neurobiologische Entwicklungsstörung, die sich meist vor dem dritten Lebensjahr zeigt. Betroffene Kinder haben Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen, zeigen eine verzögerte oder ausbleibende Sprache und neigen dazu, Verhaltensmuster zu wiederholen.
  • Bei Babys kann sich frühkindlicher Autismus schon beim Verweigern der Brust und bei Schwierigkeiten beim Zufüttern zeigen. Zudem kommen die Kinder schlecht zur Ruhe und haben einen gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus. 
  • Autistische Kinder nehmen Umweltreize oft anders wahr als nicht-autistische Menschen, weswegen ein gemeinsamer Austausch mit anderen Kindern oft schwierig ist, da sich die Lebensrealitäten in der Wahrnehmung unterscheiden.
  • Besteht der Verdacht auf frühkindlichen Autismus, sollte ein Arzt / eine Ärztin oder Expert*Innen in dem Gebiet aufgesucht werden, um frühestmöglich Therapiemöglichkeiten in die Wege zu leiten. Je früher der Autismus erkannt wird, desto besser kann er behandelt werden. Heilungschancen gibt es allerdings nicht.
  • Der Umgang mit einem autistischen Kind kann sehr herausfordernd sein. Eltern sollten sich nicht entmutigen lassen und sich in jedem Fall Unterstützung holen.

Referenzen:

Hrdlicka M. Frühkindlicher Autismus. Differentialdiagnostik und Therapie. Psychopraxis 4 /2011.

Sinzig J. Frühkindlicher Autismus. Berlin 2011.

Tölle R, Windgassen K. Psychiatrie. Springer Medizin Verlag. Heidelberg 2012.Autismus Institut. Frühkindlicher Autismus. [zuletzt zitiert am 07.09.2022]. URL: https://autismus-institut.de/therapie-institut/was-ist-autismus/symptomatik/fruehkindlicher-autismus/

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